Liebe Hebammen,

sicher können Sie aus Ihrer Berufserfahrung heraus bestätigen, dass die Verdauung bei Neugeborenen und Säuglingen ein zentrales Thema für viele Eltern ist. Aus meiner eigenen Erfahrung als Ernährungswissenschaftlerin und auch als Mutter von zwei Kindern beschäftigt mich dieses Thema auf jeden Fall immer noch und immer wieder. Insbesondere wenn Babys häufig weinen, stellt sich Eltern sehr oft die Frage „Hat mein Baby eine gesunde und funktionierende Verdauung?“

Doch was wissen wir eigentlich über das kindliche Verdauungssystem? Welche Funktionen muss es erfüllen? Welche Rolle spielt die Darmflora? Warum haben Neugeborene und Säuglinge häufig mit einer sensiblen Verdauung zu tun? Und welchen Rat können Sie als Hebamme in solchen Fällen den Eltern geben? Gerne möchte ich heute versuchen, Ihnen auf diese Fragen einige Antworten zu geben.

– Dr. Judith Bernhard, Ökotrophologin und Ernährungswissenschaftlerin bei Milupa 

Ein gesundes Verdauungssystem sichert die Nährstoffversorgung der Babys

Der Verdauungsapparat eines Menschen stellt sicher, dass die zugeführte Nahrung zerkleinert, verdaut und somit absorptionsfähig gemacht wird. So kann der Körper mit Energie und Nährstoffen versorgt werden. 

Die wichtigsten Stationen der Verdauung sind:

  • Mund und Zähne
  • Speiseröhre
  • Magen
  • Dünndarm und Dickdarm

Doch auch weitere Organe unterstützen die Verdauung:

  • Speicheldrüsen
  • Gallenblase
  • Gallengang
  • Bauchspeicheldrüse

Die Nahrung, die wir zu uns nehmen, gelangt durch den Mund über die Speiseröhre in den Magen. Dort findet die Vermischung mit dem Magensaft statt. Der Magensaft enthält Salzsäure und so nimmt der Speisebrei im Magen einen sauren pH-Wert an. Zusammen mit bestimmten Verdauungsenzymen wird dadurch die Eiweißverdauung in Gang gebracht. Doch der größte Teil der Verdauung findet im anschließenden Dünndarm statt. Hier wird die Nahrung mithilfe von Verdauungssäften aus der Leber (=Galle) und Bauchspeicheldrüse zu Ende verdaut und die gebildeten Spaltprodukte (Nährstoffmoleküle) werden von den Dünndarmzellen aufgenommen. 

Nachdem ein Molekül in eine Darmzelle aufgenommen wurde, wird es über verschiedene Wege weiter zu seinem endgültigen Bestimmungsort transportiert. Aus dem Dünndarm gelangt der Speisebrei in den Dickdarm. Dessen Hauptfunktionen sind die Fermentierung von Nährstoffen mittels Darmbakterien, die Aufnahme von Wasser sowie die Ausscheidung des Stuhls.

Die Rolle der Darmflora in der Immunabwehr

Dem Darm kommt auch bei der Immunabwehr eine Hauptrolle zu. Wussten Sie, dass sich im Darm die meisten Zellen des menschlichen Immunsystems befinden? Die Zusammensetzung der Darmflora scheint dazu in enger Beziehung zu stehen. Bei Säuglingen stimuliert beispielsweise die Besiedlung des Darms mit Bifidusbakterien insgesamt den Aufbau eines intakten Immunsystems. Das Verdauungssystem ist nach der Geburt zunächst noch unreif und entwickelt sich erst im Laufe des ersten Lebensjahres. Dies kann Ursache für eine sensible Verdauung und gastrointestinale Beschwerden sein.

Was trägt zu einer gesunden Darmflora bei?

Die Darmflora ist essentiell für die Entwicklung eines starken Immunsystems.1 Neugeborene nehmen probiotische Bakterien unter anderem beim Stillen auf.1,2 Spezifische, unverdauliche Kohlenhydrate, sogenannte probiotische Oligosaccharide in der Muttermilch, unterstützen den Aufbau einer gesunden Darmflora.3,4

Oligosaccharide sind unverdauliche Kohlenhydrate. Verdauungsenzyme können sie aufgrund ihrer Struktur nicht zersetzen, deshalb gelangen sie unverdaut bis in den Dickdarm. Dort werden Galacto-Oligosaccharide (GOS) und Fructo-Oligosaccharide (FOS) von den „guten“ Bifidusbakterien und Laktobazillen verstoffwechselt, tragen zu ihrem Wachstum bei und unterstützen so eine gesunde Darmflora. 

Die guten Bakterien sorgen für:

  • eine regulierte Verdauung
  • eine weiche Stuhlkonsistenz
  • die Reinigung des Darms
  • die Bildung einer Schutzschicht.

Den Milupa-Muttermilchforscher:innen ist es bereits vor einigen Jahren gelungen, die positiven Effekte der Muttermilch-Oligosaccharide mit der patentierten 9:1 Mischung von Galacto-Oligosaccharide (GOS) und Fructo-Oligosaccharide (FOS) nachzuahmen und den Milupa-Nahrungen hinzuzufügen. GOS und FOS tragen zur gesunden Darmflora und Stuhlkonsistenz bei Flaschenkindern bei.

Anzeichen für Verdauungsprobleme bei Säuglingen erkennen

Verdauungsprobleme im Säuglingsalter, wie Koliken, Verstopfung, Durchfall, Reflux und Aufstoßen, sind meist schmerzhaft für die betroffenen Kinder, aber auch für ihre Eltern aufgrund des oftmals starken Schreiens der Kinder eine Herausforderung. Bis zu 26 % aller Säuglinge leiden an Symptomen dieser Art, die eher bei flaschenernährten als bei gestillten Säuglingen auftreten. In den meisten Fällen verlaufen diese Symptome unproblematisch und benötigen keine intensive medizinische Behandlung.

Ursachen von Verdauungsbeschwerden:

  • Einer der möglichen Gründe für gastrointestinale Beschwerden bei Neugeborenen ist, dass sie sich in einer Phase starken Wachstums und Entwicklung befinden und dass ihr Verdauungstrakt nach der Geburt schnell die versorgende Rolle der Plazenta übernehmen muss. Weiterhin haben Neugeborene einen wesentlich kleineren Magen und Dünndarm als ältere Kinder und Erwachsene. All diese Faktoren beeinflussen wesentliche Körperfunktionen des Säuglings, einschließlich seiner Fähigkeit Nährstoffe zu verdauen, zu absorbieren und zu verstoffwechseln.
  • Ein anderer Grund für häufige Verdauungsbeschwerden bei Säuglingen ist das im Verhältnis zu älteren Kindern noch nicht voll entwickelte Verdauungssystem. Dies braucht eine Weile, bis es seine volle Funktionalität erreicht.
  • Viele Säuglinge produzieren anfangs nur kleine Mengen an eiweißspaltendem Pepsin, was wiederum die Eiweißverdauung begrenzt. Etwa 25 % aller Säuglinge zeigen eine milde Form von Laktoseintoleranz, was dazu führt, dass Laktose unverdaut in den Dickdarm gelangt und dort durch die bakterielle Verstoffwechselung zu Blähungen und Bauchkrämpfen führt. In seltenen Fällen kann bei flaschenernährten Kindern auch eine Kuhmilchunverträglichkeit Ursache der Verdauungsbeschwerden sein.

Koliken erkennen

Als Kolik werden starke, bewegungsunabhängige, meist wehenartige Schmerzen bezeichnet, die durch krampfhafte Kontraktionen der Verdauungsmuskulatur verursacht werden. Sie treten bei ansonsten gesunden und normal gedeihenden Säuglingen auf und sind meist mit starkem Schreien verbunden. 

In den fünfziger Jahren wurde von dem amerikanischen Kinderarzt Morris Wessel die sogenannte Dreierregel als Definition der Dreimonatskolik entwickelt:

  • Schreien mehr als 3 Stunden am Tag
  • mehr als 3 Tage pro Woche
  • länger als 3 Wochen.

Auch heute findet diese „Regel“ bei vielen Kinderärzten noch Anwendung.

Behandlung von Koliken

Bei gestillten Säuglingen mit Koliken wird oft geraten, dass die stillenden Mütter blähende Nahrungsmittel in ihrer Ernährung vermeiden sollten. Als wichtig wird auch eine eingehende Beratung und Beruhigung der Eltern angesehen sowie viele andere Empfehlungen wie Tragen oder Schaukeln des Kindes und Singen. Einige Kinderärzte und -Ärztinnen empfehlen auch, die Menge an Außenreizen für das Kind zu vermindern. Zur medizinischen Behandlung gehören krampflösende Medikamente, wobei diese nur geringen bis gar keinen Effekt in klinischen Studien gezeigt haben, in seltenen Fällen aber sogar gegenteilige Effekte. Obwohl einige Eingriffe bei Koliken bekannt sind, haben bisher nur wenige ihren Effekt in klinischen Studien nachweisen können.

Tipps bei Koliken und Verstopfung

Bis dahin können Sie den Eltern mit ein paar allgemeinen Tipps zur Seite stehen:

  • Das Baby sollte schon während der Mahlzeit häufiger aufstoßen, damit sich nicht zu viel Luft in seinem Bäuchlein ansammelt.
  • Bei Flaschenernährung sollten die Eltern darauf achten, das Fläschchen nach der Zubereitung kurz stehen zu lassen, bis sich der Schaum vom Schütteln gesetzt hat.
  • Fenchel-Anis-Kümmel-Tees können Linderung bringen.
  • Leichte Bauchmassagen, viel „Strampelfreiheit“ und auch ein warmes Bad/warmes Kirschkernkissen auf Babys Bäuchlein sorgen zusätzlich für mehr Wohlbefinden.
  • Ruhe, viel Geborgenheit und Körperkontakt beruhigen das Baby zusätzlich.
  • Bewährt bei Bauchweh ist der Fliegergriff, bei dem das Baby in Bauchlage auf dem Unterarm liegt.
  • Es gibt für nicht-gestillte Kinder mit Verdauungsbeschwerden auch besonders zusammengesetzte Milchnahrungen bzw. Spezialnahrungen. Die Eltern sollten sich dafür an den Kinderarzt/die Kinderärztin wenden, damit diese/r schwerwiegende medizinische Ursachen ausschließen kann bzw. die richtige Nahrung empfehlen kann.

Verstopfung bei Säuglingen

Wenn das Kind älter wird, finden physiologische Veränderungen im Magen-Darm-Trakt statt, die zu einer Abnahme der Stuhlfrequenz führen. In den ersten drei Lebensmonaten haben gestillte Säuglinge eine durchschnittliche Stuhlfrequenz von 2,9 Stühlen pro Tag, mit einer weiten Spanne von fünf bis 40 pro Woche. Säuglinge, die mit Säuglingsnahrung gefüttert werden, setzen durchschnittlich etwas weniger Stuhl ab als gestillte Säuglinge – ca. zwei pro Tag, mit einer Spanne von fünf bis 28 pro Woche. Die Anzahl der Stühle nimmt dann vom zweiten Lebenshalbjahr bis zum Alter von drei Jahren von durchschnittlich 1,8 bis 1 pro Tag weiter ab.

normale_stuhlgangfrequenz_pro_tag_saeuglinge_e1620042120624_1440x810_c-default Normale Häufigkeit der Stuhlentleerung bei Säuglingen[6]

Reflux und Spucken

Reflux (Rückfluss von Mageninhalt in die Speiseröhre) und Spucken sind häufige Phänomene im Säuglingsalter und häufiger Grund für einen Kinderarztbesuch im ersten Lebenshalbjahr.

Ursachen und Behandlung

Die Ursache für häufiges Aufstoßen im Säuglingsalter ist ein noch unterentwickelter unterer Schließmuskel der Speiseröhre, auch Ösophagusmund genannt. Dieser hat normalerweise eine Ventilfunktion zur Verhinderung des Rückflusses von Mageninhalt in die Speiseröhre. Im Laufe des ersten Lebensjahres wird dieser Ösophagusmund immer stärker und die Wahrscheinlichkeit des Aufstoßens wird dadurch geringer.

Es liegen seitens der Kinderärzte und -Ärztinnen eine Reihe an Behandlungsempfehlungen für häufiges Aufstoßen vor. Dazu gehört, solange das Kind ausreichend gedeiht, die Beratung und Beruhigung der Eltern. Sie empfehlen auch eine Umpositionierung des Säuglings, wie die seitliche Lage auf der linken Seite oder die Bauchlage, die wiederum aber in Zusammenhang mit dem plötzlichen Kindstod vermutet wird. Falls der Säugling so liegen soll, darf er nicht alleine gelassen werden, da dies von den aktuellen Liegeempfehlungen zur Vermeidung des plötzlichen Säuglingstodes abweicht. Vorgeschlagen wird auch eine Rückenlage mit erhöhter Kopfposition. Letztlich ist auch das Andicken von Muttermilch oder Säuglingsnahrung eine häufige Empfehlung.

Ein weiterer wichtiger Grund für Erbrechen kann eine Verengung des Magenausgangs (Pylorusstenose) sein. Diese Magenentleerungsstörung kann zu massivem Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel führen. 

Symptome einer Pylorusstenose:

  • Charakteristisch hierfür ist schwallartiges Erbrechen ca. eine halbe Stunde nach der Mahlzeit.
  • Das Erbrochene riecht stark sauer oder kann mit Blutfäden durchzogen sein (durch die starke Reizung der Magenschleimhaut).
  • Durch das wiederholte Erbrechen haben die Kinder Schmerzen im Oberbauch und weisen einen gequälten Gesichtsausdruck auf.
  • Sie trocknen schnell aus, scheiden nicht mehr aus, schnell sieht man ihnen die Erschöpfung und bald die Austrocknung an.

Durch den hohen Flüssigkeitsverlust sind die Kinder akut gefährdet und müssen umgehend behandelt werden. Die Verengung des Magenausgangs wird anhand der Symptome und mittels Ultraschall gesichert, gegebenenfalls mit Röntgen-Kontrastmittel und muss frühzeitig operativ behandelt werden. Hierzu wird nach Weber-Ramstedt ein chirurgischer Eingriff durchgeführt. Die Kinder erholen sich meist rasch und gedeihen wieder.

Durchfallerkrankungen bei Säuglingen und Kleinkindern

Durchfallerkrankungen gehören neben den Infektionen der oberen Atemwege zu den häufigsten Erkrankungen im Säuglings- und Kleinkindalter. Akute Durchfallerkrankungen, auch akute Gastroenteritis (AG) genannt, treten in den ersten drei Jahren 0,9 bis 1,9 Mal pro Kind pro Jahr auf. Etwa jedes fünfte Kind unter fünf Jahren wird wegen akuter Gastroenteritis mindestens einmal im Jahr beim Arzt vorgestellt. Etwa jedes zehnte Kind in dieser Altersklasse, das dem Arzt wegen AG vorgestellt wird, muss stationär eingewiesen werden.1

Behandlung von Durchfall

Unverzichtbarer Bestandteil jeder Durchfallbehandlung ist der Ersatz der Flüssigkeits- und Elektrolytverluste (Rehydratation) mit raschem Wiederbeginn der normalen Fütterung (Realimentation). Liegt bereits eine Dehydration vor, sollte innerhalb von drei bis vier Stunden rehydriert und anschließend wieder Nahrung gegeben werden5. Laufende Verluste durch Erbrechen und Durchfall während der Realimentation sind durch orale Rehydratationslösungen (ORL) zwischen den Mahlzeiten zu ersetzen (z.B. 50-100 ml pro Erbrechen oder wässrigem Stuhl). In Industrieländern haben sich bei Überwiegen von Rotavirus-Infektionen Glucose-Elektrolyt-Lösungen bewährt, die zwischen 45-60 mmol Na/l enthalten. Bikarbonat bzw. Citrat-Zusätze beschleunigen den Ausgleich der metabolischen Azidose5.  

Stillen schon während der Rehydrierung-Phase

Kinder mit leichter bis mittelschwerer Dehydratation sollten spätestens vier bis sechs Stunden nach Beginn der Rehydrierung ihre gewohnte Nahrung erhalten. Die Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) empfiehlt5, dass gestillte Säuglinge schon während der Rehydrierung-Phase zwischen dem Füttern der oralen Rehydratationslösung angelegt werden. Ein Umstellen auf eine Säuglingsnahrung während oder kurz nach dem Durchfall sollte unbedingt vermieden werden.

  1. Tanaka M, Nakayama J. (2017) Development of the gut microbiota in infancy and its impact on health in later life. Allergol Int 66;515-522
  2. Jeurink PV, et al. (2013) Human milk: A source of more life than we imagine. Benef Microbes 4;17-30
  3. Sjögren YM, et al. (2009) Influence of early gut microbiota on the maturation of childhood mucosal and systemic immune responses: gut microbiota and immune responses. Clin Exp Allergy 39;1842-1851
  4. Chichlowski, et al. (2012) Bifidobacteria isolated from infants and cultured on human milk oligosaccharides affect intestinal epithelial function. J Pediatr Gastroenterol Nutr 55;321-327
  5. Koletzko, B., Lentze, M. Leitlinien Pädiatrische Gastroenterologie. Leitlinien der der GPGE2008; http://www.gpge.de/frameset.htm?/ll_diarrhoe.html
  6. Cohen-Silver, J., Ratnapalan, S. Management of infantile colic: a review. Clin Pediatr (Phila) 2009;48:14-7

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