Das Phänomen, dass Gesundheit und Krankheit im späteren Leben weniger durch Gene als durch frühkindliche Gen-Umwelt-Interaktion bestimmt wird, kann dadurch erklärt werden, dass das Erbgut des Menschen auf unterschiedliche Weise «gelesen» werden kann. Die meisten Zellen des Körpers enthalten die gleichen Gene, die Genexpression variiert dagegen in hohem Masse zwischen den einzelnen Geweben. Gene besitzen eine Vielzahl von epi-genetischen (epi = zusätzlich) Markern, die bestimmen, wie ihre DNA gelesen wird. Diese Marker sind für die Ausrichtung und Beibehaltung der Zelltyp-spezifischen Genexpression zuständig und bestimmen damit, welche Art von Zellen sich entwickeln, welche Gene exprimiert und welche Stoffwechselprodukte produziert werden.

Die frühe Entwicklung des Körpers und seiner Organe beginnt mit der fötalen Genexpression der zu formenden Organe. Frühe Veränderungen dieser Genexpression, beispielsweise durch «Störungen» wie Fehlernährung, Mangel oder Überfluss an bestimmten Nährstoffen, kann zu permanenten strukturellen Veränderungen der Gewebe und Organe im Körper führen 1. Der Grad der Anpassung hängt dann von der klinischen Relevanz der Störungen, ihrem Zeitpunkt sowie ihrer Dauer ab 2;3.

Was beeinflusst epigenetische Prozesse?

Zu den Mechanismen, wie Körpergewebe oder Organe, die bereits frühkindlich durch Umweltfaktoren in ihrer Entwicklung beeinflusst werden können, gehören4:

  • Epigenetische Mechanismen (Veränderungen in der DNA-Methylierung oder der Modifikation der DNA-bindenden Histone; s. Abb. 1)

  • Beeinflussung der Organstruktur (durch Gefässneubildung und -versorgung, Zellposition bei Organentstehung)

  • Veränderungen der Zellen (Organ- und Gewebsvergrösserungen durch Zellanzahl [Hyperplasie] oder Zellvergrösserung [Hypertrophie])

  • Klonale Selektion (unverhältnismässiges Wachstum von Zellen unter spezifischen Stoffwechselbedingungen)

  • Metabolische Differenzierung (Auftreten mehrerer Chromosomensätze [Polyploidisierung], verbunden mit erhöhter Stoffwechselaktivität)

Abbildung 1: Epigenetische Mechanismen: Die funktionelle Festlegung von Zellen erfolgt durch verschiedene Mechanismen, unter anderem durch biochemische Modifikationen einzelner Basen der DNA-Sequenz oder der die DNA verpackenden Histone (oder beides). Solche Veränderungen, zu denen die DNA-Methylierung und die Histon-Modifikation gehören, führen dazu, dass bestimmte Bereiche des Erbguts “ruhiggestellt”, andere dafür leichter transkribiert (in RNA für Eiweisse umgeschrieben) werden können (Quelle: Nutricia Research)

In neueren Untersuchungen konnten erste epigenetische Zusammenhänge zwischen der Ernährung in der Schwangerschaft und der körperlichen Entwicklung im späteren Alter festgestellt werden. Godfrey und Mitarbeiter zeigten, dass die spezifische epigenetische Promoter-Methylierung mit Adipositas im späteren Kindesalter assoziiert war. Die identifizierten spezifischen Marker zeigten eine Verbindung zu der mütterlichen Kohlenhydrataufnahme während der frühen Phase ihrer Schwangerschaft, was bereits mit einer vermehrten Adipositashäufigkeit zur Geburt assoziiert wurde 5.

Der Einfluss der Ernährung auf das Kind

Damit ein Kind sich angemessen entwickeln kann, sollten Eltern bereits vor der Zeugung, aber insbesondere während SchwangerschaftStillzeit und den ersten Jahren nach der Geburt jede Chance nutzen, auf eine optimale Ernährung zu achten.

Man spricht auch von dem «Zeitfenster der grösstmöglichen Chancen» (engl. «window of opportunity»). Die ersten 1.000 Tage im Leben eines Kindes, von der Empfängnis bis zum Alter von zwei Jahren, gelten demnach als wichtigste Phase, in der viele epigenetische Faktoren die Chance auf spätere Gesundheit erhöhen können 6;7. In diesem «Zeitfenster der grösstmöglichen Chancen» (s. Abb. 2) beeinflusst die Ernährung von Mutter und Kind wesentlich die Entwicklung der körperlichen Organe, ihre Funktionsweise und den Stoffwechsel.
Dieses Zeitfenster lässt sich noch weiter fassen: als Zeitraum bereits vor der Konzeption bis zu einem Alter von bis zu sechs Jahren:

  • In dieser Zeit ist davon auszugehen, wie wissenschaftliche Forschungsergebnisse nahelegen, dass die Lebensweise sowie der Ernährungs- und der Gesundheitszustand der Eltern die Qualität des Spermas und der Eizelle ebenso beeinflussen wie die embryonale Entwicklung und die Placenta.

  • Genauso reifen der Körper und seine Stoffwechselfunktionen auch nach der Geburt und reagieren empfindlich auf Herausforderungen der Umwelt, wie beispielsweise Stress.

Da sich der Bedarf eines Säuglings im ersten Lebensjahr sowie im Verlauf des Kleinkindalters permanent ändert, sollte eine optimale Ernährung immer der entsprechenden Lebensphase des Kindes angepasst sein. Ein suboptimaler Ernährungsstatus der Mutter, präkonzeptionell und während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie eine suboptimale Ernährung des Säuglings und Kleinkinds, kann, je nach Schweregrad, einen signifikanten und langfristigen Effekt auf die Entwicklung des Immunsystems, des Gehirns sowie der Stoffwechselsituation haben.

ch_zeitfenster_groesstmögliche_chancen_fruehkindliche_praegung_chart12_1440x810_c-default Abbildung 2: Das «Zeitfenster der grösstmöglichen Chancen» für eine frühkindliche Prägung: die ersten 1.000 Tage im Leben eines Kindes, von der Konzeption bis zu einem Alter von zwei Jahren. Dieses Fenster lässt sich auch weiter fassen, von einer vorkonzeptionellen Phase bis hin zu einem Alter von bis zu sechs Jahren.

  1. Godfrey, K., Lillycrop, K., Burdge, G., Gluckman, P., Hanson, M. Epigenetic mechanisms and the mismatch concept of the developmental origins of health and disease. Pediatr Res 2007;61:5R-10R
  2. Painter, R., Roseboom, T., Bleker, O. Prenatal exposure to the Dutch famine and disease in later life: an overview. Reprod Toxicol 2005;20:45-52
  3. Zhang, S., Rattanatray, L., McMillen, I., Suter, C., Morrison, J. Periconceptional nutrition and the early programming of a life of obesity or adversity. Prog Biophys Mol Biol 2011;106:307-14
  4. Koletzko B, Decsi T, Molnar D, de la Hunty A. Early nutrition programming and health outcomes in later life: obesity and beyond. In: Springer 2009
  5. Godfrey, K., Sheppard, A., Gluckman, P., Lillycrop, K., Burdge, G., McLean, C., Rodford, J., Slater-Jefferies, J., Garratt, E., Crozier, S., Emerald, B., Gale, C., Inskip, H., Cooper, C., Hanson, M. Epigenetic gene promoter methylation at birth is associated with child’s later adiposity. Diabetes 2011;60:1528-34
  6. Godfrey, K., Lillycrop, K., Burdge, G., Gluckman, P., Hanson, M. Epigenetic mechanisms and the mismatch concept of the developmental origins of health and disease. Pediatr Res 2007;61:5R-10R
  7. Milagro, F., Campión, J., Cordero, P., Goyenechea, E., Gómez-Uriz, A., Abete, I., Zulet, M., Martínez, J. A dual epigenomic approach for the search of obesity biomarkers: DNA methylation in relation to diet-induced weight loss. FASEB J 2011;25:1378-89